Erzählen lernen und üben im Rhythmus der Lemniskate:

Sie können sich nicht denken, was sich hinter dieser geheimnisvollen Bezeichnung im Zusammenhang mit dem Märchenerzählen versteckt?

Nun, zunächst einmal ist uns das Zeichen der Lemniskate – die liegende Acht – aus der Mathematik bekannt. Seine Bedeutung geht allerdings weit über den mathematischen Bereich hinaus: die Lemniskate ist ein Symbol, in dem sich für die frühen Menschen Lebens- und Welterfahrung anschaubar und begreiflich machen ließ. Die Lemniskate steht für die Erfahrung, dass alles Leben in unendlicher Bewegung, in Schwingung ist, die alle Lebensvollzüge mit einschließt:

         Sommer und Winter,

         geboren werden und sterben,

         einatmen und ausatmen,

         wachen und schlafen,

         geben und nehmen,

         lachen und weinen,

         jung sein und alt werden . . die Reihe ließe sich unendlich fortsetzen.

  Vilma Mönckeberg, eine große Märchenerzählerin der Nachkriegszeit, hatte als erste die Idee, dieses Symbol mit Märchen in Verbindung zu bringen. Denn erzählen uns nicht auch die alten Volksmärchen in ihren Gegensatzbildern davon, dass Leben niemals stagniert? Dass nur der Mensch glücklich werden kann, dem es gelingt, all diese Gegensätze anzunehmen, sich hineinzugeben in diesen ewigen Kreislauf und damit letztendlich eine neue Dimension zu finden und aus jeder Krise gereifter herauszugehen?

Aus dieser Einsicht hat Vilma Mönckeberg schließlich eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, sich Texte so von innen her – vom Rhythmus ihrer Sprachbilder her – anzueignen, dass man sie schließlich – ohne Zeile für Zeile auswendig zu lernen!– wortgetreu und lebendig wiedergeben kann.

 

  Am Anfang steht sachlich-überlegte Textarbeit: Überlegungen zum Inhalt und den Figuren, zu Sprechgruppen, zu Dynamik und Sprachrhythmus des gewählten Märchens. Danach wird der Text im erarbeiteten Rhythmus nur noch laut gelesen: Die liegende Acht  mitschwingend nach genau vorgeschriebenen Regeln – was natürlich auch einige Selbstdisziplin erfordert.

Ist diese erste Aneignungsstufe erklommen, dann geht es an die lebendige, individuelle Ausgestaltung beim Erzählen: mit Leib und Seele, mit Freude und Phantasie. 

 



Ausbildungskurse in der Erzählwerkstatt sind bis auf Weiteres nicht mehr möglich.